Liebe und die PaarbeziehungLiebe und Paarbeziehung

In jedem von uns existiert ein ursprüngliches Wissen um einen Erlebniszustand, in dem wir Frieden und Leichtigkeit finden, in dem wir „angekommen“ sind, in den wir uns vollkommen hineinfallen lassen und dem wir uns vollkommen und bedingungslos anvertrauen können.
Es sind diese mitunter als "Gipfelerfahrungen", manchmal auch „Moments of excellence“, „Sartori“ u.a. genannten Zustände, in denen wir uns vollkommen lebendig und dennoch von tiefer Ruhe und Klarheit erfüllt, vollkommen frei und dennoch mit allem verbunden fühlen, ohne irgendwelche Drogen eingenommen zu haben. Nennen wir es "Liebe".

Des Wissens um diesen natürlichen Zustand sind wir uns nur selten gewahr, weil es von Denk-, Erlebens- und Wahrnehmungsgewohnheiten bzw. von Urteilen, Glaubensvorstellungen und Konzepten überlagert ist, welche scheinbar die Aufgabe haben, uns vor unserer eigenen Verletzlichkeit zu schützen oder vor der Begegnung mit Gefühlen und Erlebniszuständen, denen wir auf keinen Fall (nochmal) begegnen wollen. Manche nennen sie deshalb "Beschützer", "Bewältigungsmodi" oder auch "Wächter". 

Dieses Wissen scheint sich hinter dem Grundrauschen der Welt zu verstecken, welches wir stetig befeuern, indem wir es für die Wirklichkeit halten.

Diese befreiten Erlebniszustände können wir nicht kaufen, wir können sie auch nicht erkämpfen oder sie uns in irgendeiner Weise verdienen. Sie entziehen sich unserem Bemühen, unserer Anstrengung und unserer Kontrolle, denn sie gründen auf Leichtigkeit, Hingabe, vollkommenem Vertrauen ins Ungewisse und vollkommener Freiheit.

Wir finden sie nicht außerhalb unserer selbst, und dennoch scheinen äußere Bedingungen manchmal, jedoch auch nicht immer eine bedeutende Rolle bei ihrem Zustandekommen gespielt zu haben. Wir haben sie in gewisser Weise schon sehr früh erfahren, z.B. als etwas, das manche Psychoanalytiker „ozeanische Gefühle“ nennen, und das mit dem grundlosen, natürlichen Vertrauen darin einhergeht, dass da etwas ist, in das wir eingebettet sind, mit dem wir verbunden sind, was wir am Ende selbst sind.

Es ist nichts anderes, als Liebe. Es ist das, was wir letztendlich in der geteilten Intimität von Paarbeziehungen suchen.

Diese Liebe umfasst und beinhaltet alles und schließt nichts aus, sie kennt weder Schuld noch Getrenntheit, weder Vorwurf, noch Erwartung. Sie kann nicht besessen, genommen oder gegeben werden. Sie ist sich selbst genug, allgegenwärtig und wir können uns ihrer jederzeit gewahr werden und uns auf sie besinnen, ihr vertrauen und uns mit ihr verbinden. Sie ist Schöpfung, Raum und Ausdehnung. Sie ist die Essenz unseres Seins. Manche nennen sie deshalb auch „Gott“.

Liebe und die Illusion der Getrenntheit

Aufgrund ihrer vollkommenen Unbedingtheit beinhaltet sie auch die Freiheit, Illusionen hervorzubringen und diesen genügend Bedeutung und Macht zu verleihen, um sie als Wirklichkeit auszugeben und sie so als Ursache und Rahmenbedingung für das eigene Sein als „wahr“ zu nehmen. Insbesondere die Illusion der Getrenntheit und des Verlassenseins.
Der Glaube an diese Projektion führt dazu, die Wirklichkeit selbst wiederum als unwahr und illusionär anzusehen (z.B. auch aus Sicht eines wissenschaftlichen Empirismus bzw. Materialismus, den wir als einen gesellschaftlich institutionalisierten "Beschützer" betrachten könnten) und bedeutet gleichzeitig auch die Entscheidung für Getrenntheit von der Liebe, für die Annahme eines eigenen Mangelzustandes, der von irgendetwas im Außen behoben werden müsse, und damit der eigenen Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit.

Letztlich ist es dadurch auch die Entscheidung für Angst, Kampf und damit für auch für den Wahnsinn, wie er sich nicht selten in unseren Beziehungen widerspiegelt.
Dies ist die Situation und das Wesen des Egos, das wir glauben, zu sein und aus dessen Glaubensgrundsätzen wir unsere Gewissheiten beziehen. Neben vielem anderen ist es mitunter auch die Gewissheit darüber, worin sich „die Liebe des Partners“ auszudrücken hat.

Das Ego versucht nun, sich durch die Identifikation mit dem Körper, die Schaffung von Komplexität, die Projektion von Schuld und Fremdverantwortlichkeit, Vergangenheit und Zukunft sowie durch die Verwechslung von Ursache und Wirkung auszudehnen. Es bezeugt und erhöht die Bedeutung seiner Existenz durch die Annahme, Opfer eines fiktiven Universums zu sein, welches es selbst erschaffen hat durch die Bedeutungen, die es den Dingen und dem Verhalten des Anderen gibt (, der oder die die vielleicht soeben gegen die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ für die Liebe verstößt, die man selbst erfunden oder einfach ganz selbstverständlich geglaubt, von anderen übernommen und als gültig vorausgesetzt hatte).

Weil die Liebe jedoch umfassend und weitaus machtvoller als das Ego ist, welches lediglich aus ihr entsprungen ist, kann sie nicht unbemerkt bleiben und gänzlich geleugnet werden. Sie tritt zutage in Form einer starken Kraft, die das Verbindende, die Verschmelzung mit etwas Größerem (Gott, Weltgeist, Bhairava etc.) sucht. Dies ist die Ursache und Motivation für den Wunsch, sich zu verpartnern, auch weit über die Absicht hinaus, neues Leben hervorzubringen oder etwa Steuern zu sparen.

Das Ego scheut jedoch diese Verbindung, weil es hierdurch seine Existenz aufs Spiel setzen und seine Integrität (oder auch: "Identität") riskieren würde. Bewegungen in Richtung Intimität und Nähe werden deshalb als bedrohlich gewertet und müssen kontrolliert werden.
Nach der Devise „suche die Liebe, aber finde sie nicht!“ wird das zugrunde liegende Bedürfnis durch das Ego nun einerseits anerkannt und aufgegriffen, andererseits wird zuverlässig dafür gesorgt, dass am Ende stets mehr für das Trennende, als für das Verbindende spricht, dass immer „ein Haar in der Suppe“ gefunden wird, der/die Partner*in doch nicht der/die „Richtige“ ist, dass die Verantwortlichkeit für Freiheit, Glück und Leichtigkeit außerhalb der eigenen Selbstwirksamkeit verortet wird (sei es in Form einer Schuld beim Anderen, sei es in einer eigenen Unzulänglichkeit oder Schuld begründet), dass man sich wechselseitig zu Opfern und Tätern von Erwartungen, Ängsten, Vorwürfen und anderen Projektionen macht.

Das, was ursprünglich Liebe sein sollte, wird so zu einem Geschäft. Nicht selten wird dann versucht, Bedingungen für die Liebe auszuhandeln und mit erwachsen geglaubtem Pragmatismus wird (freundlich und mit stillem Argwohn im Hintergrund) darüber Buch geführt, ob oder wie gut der andere Partner sich den vertraglichen Kautelen unterwirft, den "AGB's der Liebe".

Führt dies nicht zur Trennung, dann oft nur aus der Angst heraus, die Option auf ein wohldosiertes Minimum an kontrollierbarer „Nähe“ zu verlieren, während man sich resigniert an Konzepten über den vermeintlichen Nutzen einer solch unerfreulichen Beziehungskonstruktion aufzurichten versucht (früher z.B. „50jähriges Ehejubiläum“). Das Ego will keine glückliche Paarbeziehungen und weiß sie deshalb auch äusserst effektiv zu verhindern!

Bei alledem sind wir jedoch weitaus mehr, als wir meist glauben, zu sein. Dies erfahren wir, wenn wir das illusionäre Gefängnis unserer Vorstellungen, Erwartungen, Verletzlichkeiten und Selbstkonzepte als das sehen, was es ist und aufhören, es dadurch „wahrzunehmen“, dass wir daran glauben und daran festhalten.

Wenn wir aufhören, uns als Protagonisten eines Lebens in einer Welt von Gewinnern und Verlierern zu betrachten, welches wir meinen, “bewältigen“ zu müssen, indem wir uns möglichst viel Lust für möglichst wenig Schmerz erkaufen bevor wir sterben, erkennen wir, dass wir frei sind und nicht wirklich irgendetwas bedeutsames verlieren können.
Dass wir bereits in der Fülle leben, jetzt glücklich sein und uns als Partner in der Fülle begegnen können. Dass wir beim Partner lediglich das gesucht hatten, was wir bereits haben. Dass wir ihn für einen Mangel angeklagt hatten, der unserer eigenen Fantasie entstammte. Dass wir durch die Verbindung mit dem Partner lediglich zu dem viel größeren zurückgefunden haben, das wir sind.

Dirk Schirok

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