Mike Hellwig: Radikale Erlaubnis. Energetischen Mißbrauch erkennen und beenden (2014)

Mike Hellwig sensibilisiert in seinem Buch für all die "Wächter", mit denen sich unser inneres Kind auf äusserst effiziente Weise vor weiteren Traumatisierungen schützt und damit meist auch davor, überhaupt von unseren (vermeintlich) erwachsenen Anteilen wahrgenommen zu werden. Dabei sind wir durchdrungen von dieser kindlichen Energie, die all unseren Regulationsstrategien und Bewältigungsstrategien zu Grunde liegt.

Mike Hellwig zeigt hier einen therapeutischen Zugang zum inneren Kind auf der Körperebene auf, in welchen verschiedene therapeutische Methoden, wie insbesondere das Focusing mit eingeflossen sind. Eine zentrale Botschaft dieses Buches besteht in der Erkenntnis, dass letztlich kein Weg daran vorbei geht, durch den emotionalen Schmerz ganz hindurchzugehen, bevor er aufgelöst werden kann. Er wirft hierbei auch ein Licht auf vielerlei spirituelle Praktiken, welche versuchen, genau dies durch die Suche nach Zuflucht in "heiligen" spirituellen Gewässern, oder auch durch das Relativieren von Schmerz, wie etwa im klassischen Familienstellen zu umgehen.

Warum ist dieses Buch unter der Kategorie Paarbeziehungen aufgeführt, wo es doch scheinbar eher therapeutischen Charakter hat? Ganz einfach, weil die Kategorie "Therapie" hier nicht existiert, und weil diese Thematik gleichzeitig für die Paarbeziehung von zentraler Bedeutung ist, ähnlich, wie auch andere Autoren (wie zum Beispiel Stephanie Stahl) dies immer wieder aufzeigen.

Hier ein Auszug aus dem Buch:

„Diese Energie, die wir erfahren, wenn wir uns durch das Nadelöhr der Verlassenheit hindurchspüren, kommt aus dem Nichts. Dieses Nichts können wir tief unten in unserem Körper spüren. Dort unten ist ein Kosmos, ein Weltall, eine endlose Weite, und sich diesem Nichts hinzugeben, diesem Nicht mehr wissen und nicht mehr wissen zu wollen, gibt uns ein Gefühl von Freiheit und Erlöstheit. Unsere Kompensationsversuche entlarven sich in dem Moment, wo wir Kontakt zu diesem Nichts unter uns bekommen. Gleichzeitig entspannt sich unser Becken, und wir können, was immer auf uns geworfen wird, durch uns durchlassen. Wir können es dem Nichts präsentieren und es ihm übergeben.

(...) Das sind natürlich Gipfelerlebnisse, und sie werden wieder vergehen. Haben wir aber von diesem Nektar einmal gekostet, schmeckt uns das Brot unseres Normalbewusstseins nur noch bitter. Wir wollen diese große Befreiung wiederhaben. Und dann erkennen wir, dass kein Weg am Spüren unserer Verlassenheit vorbeiführt, um von dieser Freiheit zu kosten. Dass sie der Schlüssel zu unserer Lebensenergie ist. Dann werden wir von Vermeidern und Kompensatoren plötzlich zu Suchern und Provokateuren unserer Verlassenheitswunde. Hiermit fällt auch das klischeebesetzte romantische Beziehungsideal, an dem im Grunde jeder verreckt, und entlarvt sich als die Betäubungsdroge schlechthin.

(...)Wenn wir mit dieser Ausrichtung nun eine Paarbeziehung eingehen, dann nur, um die Beziehung zu uns selbst zu vertiefen und frei zu werden. Wir wollen gerade nicht sicher sein, wir wollen gerade nicht in diese Falle tappen, doch noch wieder gerettet zu werden. Stattdessen laden wir den anderen ein, uns bewusst in unser Herz zu stechen. Hierbei müssen sich beide Partner voll bewusst sein, was sie tun. Beide Partner müssen willens sein, ihren Verlassenheitsschmerz zu fühlen und einander zu bekennen – anstatt den Kontakt abzubrechen oder in die Kompensation zu flüchten. Um also eine stabile Beziehung mit einem Partner jenseits der üblichen gesellschaftskonformen Rollenklischees zu führen, bedarf es zweier Partner, die sich bewusst sind, dass sie kompensieren, und die beide bereit sind, die Verlassenheitswunde bewusst zu öffnen, sie geradezu zu suchen und einander zu zeigen."