Hsing Ming – Der Gesang vom Herz/Geist 

Dieses Gedicht stammt von Niutou, einem Meister des Chan (=Zen) aus dem 7.Jh.. Es verdeutlicht, dass man das Absolute nur im Loslassen finden kann (…), die vergebene Liebesmühe, um das Denken zu disziplinieren, welches noch launischer wird, wenn man sich mit ihm befasst, das Denken, das zur Unklarheit führt, die Sinnlosigkeit, Emotionen zu zerstören, die Absichtslosigkeit als Stütze, die Widerspenstigkeit und das Erwachen, wenn man das Erwachen nicht anstrebt.  (D. Odier: „Die verrückte Weisheit der Yoginis“). Auch zeigt es die Nähe im Denken des frühen Zen-Buddhismus zur kaschmirischen Mahamudra-Lehre.

„Die Natur vom Herz/Geist kommt nirgendwo her.

Was nützen Wissen und Ideen?

Ursprünglich nicht eine einzige Wahrheit.

Warum also von Praxis reden?

Kommen und Gehen ohne Ende,

Suchen ohne zu finden:

Lieber nichts tun.

Dann scheint Frieden auf.

Die Vergangenheit ist leerer Raum,

Wissen der Verlust des Urgrunds.

Verbreite dein Licht über die Welt,

Erwacht und dennoch dunkel.

Ist die Dynamik des Ohne-Geist versperrt,

Verfehlt er die Wahrheit.

Dinge kommen, um sich wieder aufzulösen,

Was nützt die Innenschau?

Ist alles Aufscheinende einmal frei, sind die Dinge selbst Erwachen,

Um den Herz/Geist zu reinigen, muss man ihn erst einmal finden.

Durch Zeit und Raum hindurch – kein Erwachen.

Das ist große Tiefe.

Das Wissen ist Nichtwissen.

Und das Nichtwissen erfasst das Wesentliche.

Den Herz/Geist zu benutzen, um den Herz/Geist zu beruhigen,

Ist die größte aller Verirrungen.

Im Vergessen von Geburt und Tod steigt die ursprüngliche Natur empor.

Das höchste Prinzip kann nicht erklärt werden.

Es ist weder gebunden noch befreit. Erschauernd und eingestimmt auf die Welt,

Springt seine Präsenz in die Augen.

Habt Ihr kein Objekt vor Augen,

In diesem Nichts, der Gesamtheit der Welten!

Erforscht es nicht mit Hilfe der Weisheit,

Denn seine Substanz selbst ist dunkel und leer.

Gedanken steigen auf und verschwinden,

Der vorangehende mit dem folgenden identisch.

Ohne das Aufsteigen des Nachfolgenden

Zerrinnt der vorangehende Gedanke.

Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, nichts ist da.

Kein Herz/Geist, kein Buddha,

Die befreiten Menschen zeigen sich

Mit offenem Herz/Geist aus dieser Freiheit heraus.

Nun unterscheiden sie Profanes und Geheiligtes,

Ihre Verwirrung blüht.

Sie weichen ab durch Haarspalterei.

Suchst du die Wahrheit, verlässt du den Weg.

Die Heilung besteht in der Verwerfung von Profanem und Geheiligten.

Alsdann reine und funkelnde Klarheit.

Weder Gewandtheit noch Arbeit braucht es.

Handele wie ein Kind.

In dieser Lebhaftigkeit,

Stilles Wissen,

Ruhe, von Ansichten befreit,

In der Dunkelheit deiner Bleibe.

Lebhaft, ohne umherzuirren,

Ist der Geist still und friedlich,

Alle Erscheinungen wirklich und ewig,

Einer Überfülle, die keine Unterscheidung macht, entsprungen.

Gehend, kommend, sitzend, stehend,

Ohne Bindung,

Keine Richtung weisend,

Kann es da Geburt und Tod noch geben?

Da sind dann weder Einheit noch Zerstreuung,

Langsamkeit noch Schnelligkeit.

Ruhe und Licht sind natürlich,

Sie können nicht erklärt werden.

Der Herz/Geist ist wahrhaft er selbst.

Nicht mehr nötig, dem Begehren ein Ende zu setzen.

Die räumliche Natur

Lässt den Herz/Geist gehen, wohin er will.

Weder klar noch bedeckt,

Weder tiefgehend noch oberflächlich,

Fiel von Anfang an er aus der Zeit

Und hat keine Zukunft.

So, nicht unterworfen,

Ist er ursprünglicher Herz/Geist,

Der ursprünglich nicht ist,

Denn Ursprung ist im jetzigen Augenblick.“