Ken Wilber: Integrale Spiritualität

Kösel, 2007

Der Philosoph Ken Wilber, Begründer der "Integralen Theorie", versucht mit seinem Entwurf für eine integrale Spiritualität hier u.a. aufzuzeigen, inwieweit traditionelle spirituelle Denksysteme und Herangehensweisen notwendigerweise blind sein müssen gegenüber postmodernen erkenntnistheoretischen Landkarten des Geistes, die zu einem vollständigen Verständnis von Spiritualität sowie der Befähigung, sich im Spirituellen effektiv zu bewegen, unabdingbar seien. 

Das Buch bietet die spannende Zusammenschau einer beeindruckenden Fülle von traditionellen, modernen und postmodernen Erkenntnismodellen und bietet u.a. durch ein Modell, bestehend aus Ebenen, Stufen und Linien und den Rückgriff auf die "Spiral Dynamics" (C.W. Graves, D.E. Beck) eine Möglichkeit der Orientierung in den unendlichen Weiten des Geistes, seiner Entwicklungsgradienten und seiner Denksysteme. In seiner Sammlung lässt Ken Wilber wiederum auch manche Denksysteme missen, wie z.B. der Kurs in WundernKurs in WundernKurs in Wundern, die hier nicht integrierbar sind und damit dem Anspruch der integralen Theorie ein wenig zuwider zu laufen scheinen.

Gleichermaßen verkürzt Ken Wilber hier manche Konzeptualisierungen (z.B. des Buddhismus) arg "passend". So z.B. wird der Abidhamma hier implizit mit dem Buddha-Dharma gleichgesetzt; dies wäre wäre in etwa so absurd, als spräche man dem vatikanischen Konzil die Deutungshoheit über das zu, was Jesus einst gesagt haben möge. Von Weisheitslehrern, wie dem Buddha oder Jesus, wird angenommen, dass sie sich der von Wilber postulierten "Zonen 2-8" nicht bewusst sein konnten, da der moderne und postmoderne erkenntnistheoretische gesellschaftliche Kontext um sie herum zu Lebzeiten noch nicht existierte. Dies wiederum liest sich durchaus anders, wenn man z.B. den sozialreformerischen Ansatz des Buddha im Licht der Erkenntnisse des bedingten Entstehens, der 3 Daseinsmerkmale und generell den Blick auf das Wesen geistiger Gebilde betrachtet (siehe z.B. Christopher Titmuss: "The explicit Buddha"). Dies legt auch nahe, dass Ken Wilber den nondualen Tantrismus nicht wirklich verstanden hat.

Es finden sich ferner zahlreiche implizite Postulate über das Wesen von Wirklichkeit, die man nun glauben kann oder auch nicht. Wie z.B. die Behauptung, dass die Welt gerettet werden müsse. Woher weiß Ken Wilber das? Oder: wie betrachtet ein "Ich" in Stufe "Violett" (also Gott) das "Mein" darunter? In seiner Begeisterung über sein Denksystem, welches scheinbar von nicht wenigen geteilt wird, erscheint mir Ken Wilber inn seinen Aussagen hier mitunter etwas fundamentalistisch. Dennoch bietet er aus meiner Sicht eine lesenswerte Übersicht über das, was von verschiedener Seite über Spiritualität angenommen und gedacht wird, und die allein deshalb hier eine hilfreiche Landkartenfunktion haben kann (vielleicht postkonventionell aus "Zone 4" seines Modells betrachtet). Es ist eben nur eine Landkarte.